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Veranstaltung “Kolumbien zwischen Alptraum und Hoffnung” (6. Mai 2014)

Ralf Leonhards Einführung: “Friedensarbeit in Kolumbien”

Hintergrund

50 Jahre bewaffneter Konflikt haben Kolumbien zerrüttet. Linke Guerilleros, rechte Paramilitärs, skrupellose Drogenhändler, korrupte Politiker, eine mächtige Wirtschaftselite und vier Millionen Vertriebene machen das Land zum konfliktreichsten des Kontinents. Auch wenn nach den Präsidentschaftswahlen vom 25. Mai ein Friedensabkommen zwischen Regierung und FARC-Guerilla unterschrieben werden dürfte, werden die Ursachen der Gewalt nicht beseitigt.

Seit Ende 2012 wird  in Havanna verhandelt. Wer profitiert davon? Wie kann ein friedliches Kolumbien aussehen nach 50 Jahren Terror, Gewalt und Armut? Drogenhandel, feudale Strukturen und die geopolitischen Interessen der USA werden bestehen bleiben. Ist mehr soziale Gerechtigkeit im rohstoffreichen Land trotzdem durchsetzbar?

Podium:

Vera Grabe ist 1951 in Bogotá geboren, ist Ethnologin und schloss sich in jungen Jahren der Guerilla an. Als Comandante nahm sie am erfolgreichen Friedensdialog der M19-Guerilla mit der Regierung teil, der 1990 mit der Demobilisierung endete. In den 1990er Jahren wurde sie zuerst in die Abgeordnetenkammer und dann in den Senat gewählt. Später gründete und leitete sie die NGO Observatorio para la Paz in Bogotá.

Ralf Leonhard ist österreichischer Journalist und Lateinamerikaexperte.

Der anschließende Vortrag von Vera Grabe ist  HIER verfügbar.

“Kolumbien ist ein reiches Land und liegt geographisch in einer privilegierten Position in der nordwestlichen Ecke Südamerikas, als einziges Land des Subkontinents mit Küsten am Atlantik und am Pazifik. Der Reichtum an Bodenschätzen und fruchtbarem Land hat Kolumbien seit der Ankuft der Spanier vor 500 Jahren zum Ziel von Plünderungen und Raubbau gemacht. Die privilegierte Lage macht das Land zum idealen Ausgangspunkt von Schmuggelrouten Richtung USA und Europa, was einer der Gründe ist, warum sich gerade in Kolumbien der Drogenhandel zu einem ebenso einträglichen wie blutigen Wirtschaftszweig entwickeln konnte.

In den bald 200 Jahren Existenz als unabhängige Republik ist Kolumbien immer von einer kleinen aber wirtschaftlich mächtigen Elite beherrscht worden. Der Großonkel des gegenwärtigen Präsidenten Juan Manuel Santos regierte in den 1930er Jahren. Der Vater des vorletzten Präsidenten Andrés Pastrana, in den 70er Jahren und die Regierungszeiten von Vater und Sohn López Pumarejo bzw. López Michelsen lagen noch enger beisammen. Diese winzige Elite kontrolliert Wirtschaft, Landeigentum, Medien und den Staatsapparat. Laut Angaben des Katasteramtes (Instituto Geográfico Agustín Codazzi, IGAC: www.igac.gov.co/igac) verfügen 0,4 Prozent der Landeigentümer über mehr als 61 Prozent des privaten Landes während die 97 Prozent der Klein- und Subsistenzbauern sich weniger als ein Viertel des Landes untereinander aufteilen müssen. Gleichzeitig gelten 62 % des nutzbaren Landes als schlecht oder kaum genutzt. Land ist also nicht unbedingt ein produktions-, sondern ein Machtfaktor. Deswegen haben sich die Großgrundbesitzer auch jeder Agrarreform erfolgreich widersetzt.

Die Wirtschaftsstrukturen, die diese Konzentration des Reichtums perpetuieren und die Praxis, dass die Politik als geschlossener Klub funktioniert, wo neue Mitbewerber nicht reingelassen werden, gelten als zentrale Ursachen des bewaffneten Konflikts, der seinen Ausgang um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts nahm. Liberale und Konservative, die beiden großen Parteien, haben sich im Laufe der Geschichte an der Macht abgewechselt und immer wieder in Bürgerkriegen zu vernichten versucht. Der bisher letzte in dieser Abfolge von Bruderkriegen nahm seinen Ausgangspunkt mit der Ermordung des liberalen Populisten Jorge Eliécer Gaitán am 9. April 1948. Es kam zu einem Aufstand in Bogotá, bekannt als Bogotazo, und in der Folge zu einem jahrelangen Kleinkrieg, in dem liberale und konservative Bauernmilizen gegeneinander aufgehetzt wurden. Die katholische Kirche als Kriegstreiberin hat da eine besonders unrühmliche Rolle gespielt und allen, die einen Liberalen töten, schon im Voraus die Absolution erteilt.

Das Morden wurde durch den Staatsstreich von General Gustavo Rojas Pinilla zwar nicht beendet. Aber Liberale und Konservative erkannten, dass sie dem Land nur Stabilität bringen können, wenn sie sich einigen. Das taten sie mit bemerkenswerter Konsequenz. Es wurde 1957 vereinbart, dass die beiden Parteien einander 16 Jahre lang an der Präsidentschaft abwechseln würden und die Sitze im Parlament – unabhängig vom Wahlergebnis – Fifty-Fifty aufgeteilt werden sollten.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der Putschist Rojas Pinilla dieses System herausfordern sollte und 1970 mit einer populistischen Oppositionsallianz ANAPO das Zweiparteiensystem zu sprengen drohte. Als er in der Wahlnacht tatsächlich vorne lag, wurde die  Stimmauszählung unterbrochen und am nächsten Tag der Konservative Misael Pastrana zum Sieger erklärt. Rojas Pinilla akzeptierte den offensichtlichen Wahlbetrug. Aber der linke Flügel rief zum Protest aus und entschloß sich angesichts der Aussichtslosigkeit auf legalem Weg an die Macht zu kommen zum bewaffneten Kampf. Die neue Guerilla nannte sich nach dem Tag des Wahlschwindels Bewegung 19. April – M19. Vera Grabe war damals dabei und könnte darüber viel erzählen. M19 suchte zunächst nicht die militärische Konfrontation mit der Armee, sondern versuchte durch aufsehenerregende Aktionen auf sich aufmerksam zu machen. So raubte sie aus dem Museum den Degen des Befreiungshelden Simón Bolívar und versprach, ihn erst zurückzugeben, wenn Kolumbien so demokratisch geworden sei, wie es Bolívar einst erträumt hatte.

Die ersten bewaffneten Organisationen waren aber schon zehn Jahre vorher entstanden: die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) aus Überresten liberaler und kommunistischer Bauernmilizen. Das Volksbefreiungsheer (Ejército de Liberación Nacional, ELN) in der Tradition der kubanischen Revolutionäre und mit starken christlichen Elementen. Der legendäre Jesuitenpater Camilo Torres starb in den Reihen des ELN. Dann gab es noch die maoistische EPL und die indianische Guerilla Quintín Lame, die eigentlich aus dem gewaltfreien Widerstand gewachsen ist.

Um es kurz zu machen: auf Jahre gnadenloser Repression, in denen nicht nur die Rebellen, sondern auch deren mögliche Sympathisanten und selbst völlig unbeteiligte Angehörige verfolgt, gefoltert und ins Exil getrieben wurden, suchte der konservative Präsident Belisario Betancur 1984  die politische Lösung und lud alle Guerillagruppen zum Dialog ein. Dafür hatte er allerdings nicht die volle Unterstützung der Armee und der Geheimdienste. Das zeigte sich, als die FARC mit der Patriotischen Union (UP) eine Partei gründeten, die in vielen Regionen auf Anhieb äußerst erfolgreich war. Im Laufe der Jahre wurden mehr als 5000 Aktivisten, Mitglieder, Bürgermeister, selbst ein Senator und zwei Präsidentschaftskandidaten der UP ermordet. Viele von staatlichen oder parastaatlichen Akteuren.

Die M19 versuchte im November 1985 mit der Einnahme des Justizpalasts Druck auf die Regierung auszuüben, hatte aber nicht mit der Brutalität der Armee gerechnet, die gegen den Willen des Präsidenten das Gebäude im Sturm nahm, in Brand setzte und auch den Tod von Richtern und zivilen Angestellten in Kauf nahm, um die Geiselnahme zu beenden. Bis heute weiß man nicht genau, wie viele Menschen ums Leben kamen, etwa 100. Von einigen ist dokumentiert, dass sie überlebten aber dann im Gewahrsam der Armee verschwanden.

Für M19, die einen großen Teil ihrer Führung in den Flammen des Justizpalastes verlor, war der Zeitpunkt gekommen, andere Wege zu suchen. Es sollten aber noch einige Jahre vergehen und viel Blut fließen, bis es neuerlich zum Dialog kam und unter Präsident Virgilio Barco 1990 ein Abkommen unterzeichnet wurde, das zur freiwilligen Entwaffnung der M19-Guerilla führte. Und schon 1991 war die nunmehr Politische Allianz M19, legitimiert durch Wahlen, eine der bestimmenden Kräfte bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung. Diese Verfassung hat das politische Leben und die Justiz demokratisiert und gilt als eine der modernsten in Lateinamerika.

Nicht beteiligt waren die FARC, die durch die Erfahrungen mit ihrem politischen Arm, der Unión Patriótica, in der Überzeugung bestärkt wurden, dass der zivile Weg nicht weiterführt.

Jahrelang wurde dann aber der bewaffnete Kampf in den Hintergrund gedrängt durch den Krieg gegen die Drogenkartelle, speziell das Kartell von Medellín des Pablo Escobar, das durch Morde und Bombenanschläge den Staat zu erpressen versuchte, ein Auslieferungsabkommen mit den USA nicht zu unterschreiben.

Den Kampf gegen die Guerilla und vor allem deren soziale Basis überließ die Armee immer mehr den paramilitärischen Gruppen, die aus Selbstschutzverbänden entstanden waren, die Großgrundbesitzer gegründet hatten, um sich von den Schutzgeldzahlungen an die Guerilla freizumachen. Sowohl Guerilla, als auch Paramilitärs, die nach und nach ein eigenständiges Leben entwickelten und eigene ökonomische und teils auch politische Ziele verfolgten, verstrickten sich gleichzeitig immer mehr in den Drogenhandel, das lukrativste Geschäft.

Es war dann ausgerechnet der konservative Präsident Andrés Pastrana, der 1998 im Wahlkampf den Frieden versprach und sich sogar mit FARC Kommandant Tirofijo traf, um seinem Plan Glaubwürdigkeit zu verleihen. Der Dialog fand vereinbarungsgemäß in einer entmilitarisierten Zone, dem Caguán, statt, wo die FARC de facto die Kontrolle übernehmen konnten. Zwischen den Verhandlungsrunden hielten sie dort Hof und empfingen Delegationen von Politikern, Bauernorganisationen, selbst Unternehmern, Diplomaten und natürlich Journalisten, die erstmals die Gelegenheit bekamen, gefahrlos Comandantes im eigenen Land zu interviewen. Inhaltlich ging wenig weiter und beide Seiten nützten die Zeit, um militärisch aufzurüsten. Das Scheitern dieses Prozesses brachte dann einen Mann an die Macht, der politisch den rechten Paramilitärs nahestand und mit dem Versprechen der harten Hand auch bei der städtischen Mittelschicht gut ankam. Álvaro Uribe rüstete auf, brachte lang aufgegebene Gebiete wieder unter militärische Kontrolle, militarisierte die Landstrassen, wo die Guerilla lange Zeit wahllos Menschen gekidnappt hatte, um sie gegen Lösegeld wieder freizulassen. Ein Spitzelsystem wurde aufgebaut, Gewerkschaftsarbeit reprimiert, und die militärischen Erfolge durch verbrecherische Methoden aufgebessert. So haben Soldaten, um Prämien oder Vergünstigungen zu lukrieren, mehrere tausend junge Burschen aus den Armenvierteln verschleppt, in Uniformen gesteckt, ermordet und dann als tote Guerilleros der Presse präsentiert.

Verhandelt hat Uribe nur mit den Paramilitärs, denen er Strafminderung zusicherte, wenn sie die Waffen niederlegen. Seither gibt es offiziell keine Paramilitärs mehr. Aber viele von deren Mitgliedern organisierten sich neu unter den unterschiedlichsten Namen und werden heute kollektiv als Bacrim – kriminelle Banden  – bezeichnet.

Soviel zum historischen Hintergrund, damit das, was Vera Grabe jetzt über den neuen Friedensprozess und die Aussichten auf einen echten und nachhaltigen Frieden erzählen wird, besser verständlich wird.”